Patientenverfügung

Patientenverfügung

Tim darf nicht zu Marie


(Lesezeit 5 Min)

Marie ging es schlecht. Trockener Husten, Fieber und das Gefühl, einfach krank zu sein. Heute vormittag war sie noch ganz locker an der Uni gewesen, ihrem Job als wissenschaftliche Hilfskraft nachgegangen und mit dem Fahrrad hin und her geradelt. Plötzlich war alles anders, und es schien von Minute zu Minute schlechter zu gehen. Marie war eine junge, dynamische Frau, die sich immer kerngesund fühlte und nie über Vorsorge oder gar Patientenverfügung für Notfälle nachgedacht hatte.

Sie war allein in der Wohnung, die sie mit Tim seit 2 Jahren teilte. Tim, ihr Lebenspartner, war augenblich sehr stark mit Jannik – seinem Freund – an einem Start-up-Projekt am arbeiteten und praktisch nie zuhause. Für Marie alles völlig in Ordnung, aber jetzt – in diesem Moment – hatte sie Panik und einfach nur Angst!

Marie rief Tim an, er war auch sogleich am Telefon. Sie schilderte ihre Symptome und ihre Angstzustände, Tim wollte sich sofort auf den Weg machen, um Marie zum Arzt zu bringen.

Als Tim in der gemeinsamen Wohnung ankam, ging es Marie noch schlechter, sie schien Atemnot zu haben. Tim verfrachtete Marie ins Auto und fuhr direkt zum Krankenhaus.

Im Krankenhaus

Dort angekommen, wurden sie nach einem kurzen Gespräch in der Notaufnahme sofort isoliert mit dem Verdacht auf Covid 19 Infektion. Ein Arzt in Schutzkleidung erledigte die Aufnahmeformalitäten und fragte Tim nach seinem Verhältnis zu Marie. Wahrheitsgemäß berichtete er, daß sie ein Paar seien und seit 2 Jahren zusammenlebten.

Daraufhin fragte der Arzt, ob Tim eine Patientenverfügung oder eine Vollmacht von Marie habe, andernfalls sei für ihn hier jetzt Schluß und er solle sich von Marie verabschieden.

Wird Marie gegen ihren Willen intubiert, weil sie keine Patientenverfügung hat?

Tim brauste auf, natürlich habe er keine Vollmacht oder eine Patientenverfügung von Marie, was sei das eigentlich und wofür wolle der Arzt derartige Dokumente eigentlich haben. Marie sei seine Partnerin, sie würde wollen, daß er jetzt bei ihr sei, um alles Notwendige mit einem Arzt zu besprechen.

Der Arzt winke jedoch ab, so einfach sei das nicht. Er, Tim, könne seine Behauptungen nicht beweisen, ihn gingen die gesundheitlichen Fragen von Marie ohne Vollmacht oder Patientenverfügung schlicht nichts an. Ihm als Arzt seien da die Hände rechtlich völlig  gebunden.

Tim hatte scheinbar eine rettende Idee und verwies auf Marie, die sich ja gegenüber dem Arzt entsprechend äußern könne und ihn, Tim, mündlich autorisieren solle, im Namen und für Marie zu handeln und medizinische Entscheidungen mitzutreffen.

Aber auch hier winkte der Arzt ab. Marie habe mittlerweile hohes Fieber. Damit sei ihre freie und unabhängige Selbstbestimmtheit in all diesen Fragen nicht gesichert. Marie könne nicht mehr für sich selbst uneingeschränkt entscheiden. Aber, so der Arzt weiter, wo seien die Eltern von Marie, sie könnten ihr doch beistehen.

Jetzt war Tim noch mehr geknickt. Maries Eltern seien im Ausland, er könne sie aufgrund der weltweiten Krisenlage auch nicht erreichen, weil sie sich in einem Bundeswehreinsatz befänden. Auch weitere Verwandte von Marie seien zur Zeit nicht erreichbar.

Jetzt zuckte der Arzt nur noch mit den Schultern und stellte fest, daß alle medizinischen Schritte nun ausschließlich von ihm und seinen Kollegen mit Blick auf die gesundheitliche Entwicklung von Marie zu entscheiden seien. Mit dem Hinweis auf ein absolutes Besuchsverbot und eine Informationssperre zum Gesundheitszustand von Marie, verließ der Arzt mit Marie die Notaufnahme des Krankenhauses.

Kommentar:

Tims Problem ist, daß er seine Nähe und Beziehung zu Marie nicht beweisen kann. Er ist mit Marie nicht verheiratet und er kann weder mit einer Patientenverfügung oder Vollmacht belegen, daß er für Marie eine besondere Vertrauensperson ist, die in höchstpersönliche Krankendaten oder Angelegenheit Einblick nehmen darf um Entscheidungen zu treffen. Der Arzt kennt Marie und Tim nicht, er muß sich auf objektive Unterlagen verlassen, die Tim nicht hat.

Das Problem:

Weil auch Maries Eltern nicht erreichbar sind, ist Marie im Krankenhaus völlig allein. Niemand kommuniziert mit den Ärzten, weiß wie es ihr geht und hinterfragt ärztliche Entscheidungen. Tim kann nichts über den Gesundheitszustand seiner Freundin erfahren, solange sie im Krankenhaus ist. Eine Entscheidung, ob Marie z. B. intubiert wird, treffen die Ärzte allein aus ihrer Sicht. Erst wenn Marie aus ärztlicher Sicht wieder eine selbstbestimmte Entscheidung treffen kann, könnte sie Tim gegenüber dem Krankenhaus zur Entgegennahme ihrer Gesundheitsdaten autoisieren

Tipp:

Lassen Sie sich – unabhängig vom Lebensalter – von jemandem mit Sachkunde beraten, der Ihnen Rechtsrat erteilen darf – also Rechtsanwälte und Notare. Bereiten Sie sich vorsorglich auf eine Situation vor, die niemals eintreten sollte, aber eintreten kann. Wollen Sie in einer derartigen Lage selbst bestimmen, was mit Ihnen medizinisch passiert und wer wie für Sie handeln soll und darf, dann benötigen Sie eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht. Wenn Sie sich nicht nur auf Internetangebote, die keine Rechtsberatung sind und oft Verbindung zur Versicherungswirtschaft haben, verlassen wollen, suchen Sie den Kontakt zu einem Anwalt oder Notar. Es gibt mehr zu bedenken, als es auf den ersten Blick scheint. die gegenwärtige Coronakrise führt uns dies leider vor.

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