Politische Inkompetenz gegen Unabhängigkeit

Politische Inkompetenz gegen Unabhängigkeit

Justitia
Richterverband SH:

Richterwahl: Nur die berufliche Qualifikation darf zählen!

 
 
 
legal 1st Kommentar:
Die Unabhängigkeit von Institutionen ist ein hohes Gut. Unabhängigkeit sichert Vertrauen in Überparteilichkeit, Unbestechlichkeit und Verfassungsmäßigkeit.
Unabhängigkeit schafft gesellschaftliche Akzeptanz in Entscheidungen.
Wer diese Punkte teilt muß darüber nachdenken, wie wichtige Institutionen in Gesellschaft und Staat unabhängiger werden können, um mehr Akzeptanz und gesellschaftlichen Frieden als Elemente von Rechtsstaat und Demokratie zu schaffen.
Schleswig-Holstein versucht das Gegenteil mit einer Änderung des Richterwahlgesetzes, um die “Bestenauslese” gem. Art. 33 GG durch politische Wahlentscheidungen ersetzen zu können. Dahinter steht, wie so oft in der Politik, der Gedanke, seinen gegenwärtigen politischen Einfluß bei der personellen Besetzung wichtiger staatlicher Schnittstellen zu maximieren. Derartiges ist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk genauso zu beobachten wie bei anderen Wahlentscheidungen durch Parlamentsausschüsse, z.B. bei der Besetzung von Datenschutzbeauftragten und jetzt auch bei Richtern.
Parlamentarier fühlen sich zu derartigen Entscheidungen grundsätzlich berufen und legitimiert, weil sie selbst in einem demokratischen Wahlverfahren gewählt wurden und als Volksvertreter handeln.
Aber ist das tatsächlich so?
Leider nein. Fraktionsdisziplin, parteipolitische Interessen und das Stützen der eigenen Regierung und Minister dominieren diese scheinbaren Wahlentscheidungen zulasten der Unabhängigkeit der betroffenen Institutionen. Die Folge: Autoritätsverlust, das Unterstellen von Parteilichkeit, mangelnde Akzeptanz und fehlende gesellschaftliche Unterstützung. Das kann sich eine Demokratie und ein Rechtsstaat nicht leisten.
Dies zu erkennen würde erfordern, daß Parlamente echte Volksvertretungen sind und nicht nur Ausführungsorgane von Parteien und ihren Interessen. Es würde auch erfordern, daß die Parlamentarier eine eigene Sachkompetenz haben und ihre eigenen Handlungsgrenzen zum Wohle des Volkes erkennen können.
In Schleswig-Holstein haben sich in bemerkenswerter Einigkeit die Neue Richtervereinigung und der Richterbund SH gemeinsam zu einem Gesetzesentwurf öffentlich geäußert, der die Entscheidungskriterien des Richterwahlausschusses neu ordnen will in Richtung Politisierung. Es soll nicht mehr die Bestenauslese gem. Art. 33 GG im Mittelpunkt stehen, sondern eine echte Wahlentscheidung.
Aus der zitierten Presseerklärung:

“In Schleswig-Holstein entscheidet über die Besetzung von Richterplanstellen seit langem ein vom Landtag gewählter Ausschuss (Richterwahlausschuss), der mehrheitlich mit Abgeordneten besetzt ist. Die Mitglieder des Ausschusses nehmen ihre Aufgabe nach allgemeiner Einschätzung sorgfältig und verantwortungsbewusst wahr. Das Verfahren hat sich bewährt, öffentliche Kritik und/oder Reformbedarf sind nicht bekannt geworden.

Dennoch hat das Justizministerium im Dezember 2020 – ohne irgendeine vorhergehende Bestandsaufnahme oder Rückkopplung mit Richterinnen und Richtern, Anwaltsverbänden oder anderen Betroffenen – überraschend und unangekündigt „auf Wunsch aus dem parlamentarischen Raum“ einen Gesetzentwurf zur Änderung des Landesrichtergesetzes vorgelegt. Mit der plötzlich geplanten Neuregelung soll insbesondere der gesetzliche Maßstab, nach dem Beförderungsstellen an den Gerichten zu vergeben sind, fundamental geändert werden.

Bislang gilt das strikte, im Grundgesetz verbürgte Gebot der sogenannten Bestenauslese. Danach muss der Richterwahlausschuss den nach seiner „Eignung, Befähigung und Leistung“ besten Bewerber anhand seines bisherigen Werdeganges, der vorliegenden dienstlichen Beurteilungen und ggf. einer mündlichen Anhörung ermitteln. Sind Mitbewerberinnen und Mitbewerber der Auffassung, das Gebot der Bestenauslese sei bei der Entscheidung verletzt worden, können die Unterlegenen das Verwaltungsgericht anrufen. Das Verwaltungsgericht überprüft dann das konkrete Verfahren und kassiert gegebenenfalls fehlerhafte Entscheidungen.

Nun soll es jedoch signifikant anders werden: Nach dem vorgelegten Gesetzentwurf käme es künftig nicht mehr allein auf das Bestenprinzip an. Hiervon soll sich der Wahlausschuss bei seiner Entscheidung nur noch „leiten“ lassen; im Übrigen könnte er frei entscheiden und wäre an keinen gesetzlich definierten Maßstab gebunden. Dies entspreche, so die (einzige) Begründung des Gesetzentwurfs, den Regelungen für die Wahl von Bundesrichtern.”

In Randnummer 33 führt das Gericht aus:

“c) Unter diesen Bedingungen muss der Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG insbesondere dadurch operationalisierbar gemacht werden, dass das Verfahren selbst entsprechend ausgestaltet und die Wahl eignungs- und leistungsorientiert „eingehegt“ wird. Dies erfordert, dass der Richterwahlausschuss sich einen Eindruck verschaffen kann von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der Kandidaten durch Zusammenstellung (unter anderem) ihrer Zeugnisse, dienstlichen Beurteilungen und der sie betreffenden Präsidialratsstellungnahmen. Die Einhaltung dieser prozeduralen Anforderung muss niedergelegt und nachvollziehbar sein (vgl. zu Dokumentationspflichten oben Rn. 20). Eine verfahrensmäßige Absicherung eines an den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG orientierten Berufungsverfahrens erfolgt ferner durch Begründungspflichten. Sie treffen zwar nicht den Richterwahlausschuss (aa), wohl aber in bestimmten Konstellationen den zuständigen Minister (bb).

 
 

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