Politische Inkompetenz gegen Unabhängigkeit
Richterwahl: Nur die berufliche Qualifikation darf zählen!
“In Schleswig-Holstein entscheidet über die Besetzung von Richterplanstellen seit langem ein vom Landtag gewählter Ausschuss (Richterwahlausschuss), der mehrheitlich mit Abgeordneten besetzt ist. Die Mitglieder des Ausschusses nehmen ihre Aufgabe nach allgemeiner Einschätzung sorgfältig und verantwortungsbewusst wahr. Das Verfahren hat sich bewährt, öffentliche Kritik und/oder Reformbedarf sind nicht bekannt geworden.
Dennoch hat das Justizministerium im Dezember 2020 – ohne irgendeine vorhergehende Bestandsaufnahme oder Rückkopplung mit Richterinnen und Richtern, Anwaltsverbänden oder anderen Betroffenen – überraschend und unangekündigt „auf Wunsch aus dem parlamentarischen Raum“ einen Gesetzentwurf zur Änderung des Landesrichtergesetzes vorgelegt. Mit der plötzlich geplanten Neuregelung soll insbesondere der gesetzliche Maßstab, nach dem Beförderungsstellen an den Gerichten zu vergeben sind, fundamental geändert werden.
Bislang gilt das strikte, im Grundgesetz verbürgte Gebot der sogenannten Bestenauslese. Danach muss der Richterwahlausschuss den nach seiner „Eignung, Befähigung und Leistung“ besten Bewerber anhand seines bisherigen Werdeganges, der vorliegenden dienstlichen Beurteilungen und ggf. einer mündlichen Anhörung ermitteln. Sind Mitbewerberinnen und Mitbewerber der Auffassung, das Gebot der Bestenauslese sei bei der Entscheidung verletzt worden, können die Unterlegenen das Verwaltungsgericht anrufen. Das Verwaltungsgericht überprüft dann das konkrete Verfahren und kassiert gegebenenfalls fehlerhafte Entscheidungen.
Nun soll es jedoch signifikant anders werden: Nach dem vorgelegten Gesetzentwurf käme es künftig nicht mehr allein auf das Bestenprinzip an. Hiervon soll sich der Wahlausschuss bei seiner Entscheidung nur noch „leiten“ lassen; im Übrigen könnte er frei entscheiden und wäre an keinen gesetzlich definierten Maßstab gebunden. Dies entspreche, so die (einzige) Begründung des Gesetzentwurfs, den Regelungen für die Wahl von Bundesrichtern.”
“c) Unter diesen Bedingungen muss der Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG insbesondere dadurch operationalisierbar gemacht werden, dass das Verfahren selbst entsprechend ausgestaltet und die Wahl eignungs- und leistungsorientiert „eingehegt“ wird. Dies erfordert, dass der Richterwahlausschuss sich einen Eindruck verschaffen kann von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der Kandidaten durch Zusammenstellung (unter anderem) ihrer Zeugnisse, dienstlichen Beurteilungen und der sie betreffenden Präsidialratsstellungnahmen. Die Einhaltung dieser prozeduralen Anforderung muss niedergelegt und nachvollziehbar sein (vgl. zu Dokumentationspflichten oben Rn. 20). Eine verfahrensmäßige Absicherung eines an den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG orientierten Berufungsverfahrens erfolgt ferner durch Begründungspflichten. Sie treffen zwar nicht den Richterwahlausschuss (aa), wohl aber in bestimmten Konstellationen den zuständigen Minister (bb).
aa) Da der eigentliche Wahlakt keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegt, bedarf sein Ergebnis auch keiner Begründung (vgl. bereits BVerfGE 24, 268 <276 f.> sowie im Anschluss daran BGHZ 85, 319 <323 f.>). Eine Begründungspflicht ergibt sich insbesondere nicht aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.”
So funktioniert Unabhängigkeit nicht!!!
Gerade die Judikative in ihrer Gesamtheit benötigt mit Blick auf ihre zentrale Stellung in Demokratie und Rechtsstaat mehr Unabhängigkeit, anstelle zunehmender Abhängigkeit von inkompetenten und parteipolitisch motivierten Parlamentariern. Sollte dieser Satz jemand Unrecht tun – Entschuldigung, aber dieser jemand kann gönnen, weil er das Gesamtbild des Zusammenspiels der unabhängigen Institutionen in Demokratie und Rechtsstaat sieht und sich nicht angesprochen fühlt.
Heute wird über eine Aktion der Staatsanwaltschaft politisch spekuliert, morgen über das politische Ignorieren eines Gerichtsurteils. Das muß beendet werden, und das Bundesverfassungsgericht hat nicht den richtigen Weg aufgezeigt.
Manchmal muß man ein ganzes Verfahren “wegwerfen”, um mit einem neuen Verfahren das angestrebte Ziel zu erreichen.
Für Schleswig-Holstein würde dies bedeuten: Weg mit dem Gesetzesentwurf zum Richterwahlgesetz, neue Verfahren entwerfen, die Staatsanwaltschaft und Richterschaft weniger staatsabhängig machen wie bisher, z. B. beim Budget und der Weisungsabhängigkeit vom Justizministerium.
Mehr Unabhängigkeit der Judikative zur Sicherung gesellschaftspolitischer Akzeptanz, weil manche Institutionen des Staates für Parteipolitik absolut tabu bleiben müssen.