Afghanistan – wie einsatzfähig ist die Bundeswehr
Evakuierungen aus Afghanistan – 125 Passagiere in zweitem Rettungsflug
Dem Rettungs-Airbus der Luftwaffe fehlt das Raketen-Abwehrsystem.
Ein Blick in die Unterrichtung des Bundestages durch die Wehrbeauftragte – Drucksache 19/26600 vom 23.02.2021 zeigt deutlich, wie es um die Bundeswehr steht:
“In der Breite sind auch bei der Luftwaffe – trotz einzelner Fortschritte – im Berichtsjahr keine nachhaltigen Verbesserungen bei der Einsatzfähigkeit wichtiger Waffensysteme zu erkennen. Die Luftwaffe ist zwar nach eigenen Angaben fähig, die gestellten Aufgaben im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen und den Dauereinsatzaufgaben in Deutschland, inklusive der Alarmrotten zur Sicherheit im Luftraum für das NATO Air Policing Baltikum, zu erfüllen. Dies erfordert jedoch die Bündelung aller Kräfte, oft zulasten von Ausbildungsvorhaben. Zusätzliche Aufgaben konnte sie nicht oder nur eingeschränkt übernehmen. Das Verteidigungsministerium attestiert nicht selten sowohl Systemen, die neu sind oder sich in der Einführungs- und Wachstumsphase befinden, als auch Systemen in der Sättigungs- und Degenerationsphase eine hohe Schwankungsbreite hinsichtlich ihrer materiellen Einsatzbereitschaft. Der Inspekteur der Luftwaffe bewertet in seinem aktuellen Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft Luftwaffe das Bild der fliegenden Waffensysteme differenziert. Auf der einen Seite zeichneten sich positive Entwicklungen ab. Bei den Einsätzen COUNTER DAESH, RESOLUTE SUPPORT und MINUSMA sei die materielle Einsatzbereitschaft der Waffensysteme der Luftwaffe regelmäßig sehr hoch gewesen. Der A400M habe bei COUNTER DAESH besonders als Tankflugzeug überzeugt. Wenn es die Lage in der Region erfordere, garantiere der A400M zudem aufgrund seiner Fähigkeiten zum geschützten Lufttransport auch bei Nacht die schnelle Verlegung von Personal und Material. Bei einem Truppenbesuch beim Lufttransportgeschwader 62 im September 2020 bestätigte sich ein positiver Trend hinsichtlich der Einsatzbereitschaft des Flugzeugs. Insbesondere die Möglichkeit, den A400M mit entsprechender Ausrüstung zur Evakuierung und zum Transport von Verwundeten einsetzen zu können, hat sein Einsatzspektrum erhöht. Die Luftwaffe stellt hier eine hohe Einsatzbereitschaft sicher, um eine Zwölf-Stunden-Bereitschaft für diese Aeromedical Evacuation zu gewährleisten. Bei einer Gesamtzahl von über 30 Maschinen stehen im Verband im Durchschnitt aber nur etwa zehn bis zwölf A400M einsatzbereit zur Verfügung. Eine solche Anzahl reicht nicht aus, um Piloten in ihrer Ausbildung schnellstmöglich ins Cockpit zu bringen. Zwar fänden viele Ausbildungsanteile in sehr guten Hightech-Simulationen statt. Trotz Flugberechtigung dauere es teilweise jedoch über zwölf Monate, bis sie einen echten Flug absolvieren könnten. Insoweit besteht die dringende Notwendigkeit, dass mehr tatsächliche Flüge stattfinden.
Negativ festzuhalten ist ferner, dass das Waffensystem TORNADO auch nach Abschluss des Einsatzes COUNTER DAESH ein Problem bleibt. Es bedarf hier ebenfalls eines hohen Kraftaufwandes, um Besatzungen vollständig und zeitgerecht auszubilden. Eine bei älteren Systemen immer schwieriger werdende Ersatzteillage sowie notwendige Modernisierungsmaßnahmen und entsprechende Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten reduzieren nicht selten über längere Zeiträume den Bestand an einsatzbereiten Maschinen.
Ähnlich verhält es sich beim Transporthubschrauber CH-53. Nach 16 Jahren Dauereinsatz in Afghanistan ist eine für 2021 angekündigte Einsatzpause dringend nötig, um eine gewisse Konsolidierung zu erreichen. Den CH-53 gibt es seit 1972 in der Bundeswehr. Wichtige Austauschteile fehlen und sind nur unter größten Anstrengungen zu beschaffen. Die Einsatzbereitschaft des CH-53 ist die niedrigste aller fliegenden Waffensysteme der Luftwaffe. Flugstunden auf diesem System sind deshalb Mangelware. Zusätzlich fällt auf, dass sich nach Medienrecherchen außerplanmäßige Landungen aus Sicherheitsgründen – 24 zwischen Juni 2019 und Juni 2020 – häufen. Das ist nicht akzeptabel, die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten muss gewährleistet sein.
Ebenfalls schlecht verläuft das Rüstungsprojekt eines künftigen schweren Transporthubschraubers (STH), der die alternde Flotte des CH-53 in seinen verschiedenen Varianten ersetzen soll. Aus Kostengründen hat das Verteidigungsministerium das Vergabeverfahren im September 2020 aufgehoben. Das deutet darauf hin, dass die vorhandenen CH-53 noch länger in Betrieb bleiben müssen als bisher vermutet. Zwar hat das Ministerium betont, dass die Realisierung des Projekts STH eine sehr hohe Priorität habe und die Fähigkeit zum Lufttransport von herausragender Bedeutung sei. Die bis Ende 2020 angekündigte Entscheidung über das weitere Vorgehen stand zu diesem Zeitpunkt indes immer noch aus. Angesichts des seit vielen Jahren prekären Zustands der Bestandsflotte, der zentralen Bedeutung von Lufttransportkapazitäten für die Auftragserfüllung und der Marktverfügbarkeit von tauglichen und erprobten Systemen sind weder die Verfahrensdauer bis hin zu einer abschließenden Beschaffungsentscheidung noch die dadurch entstehende Fähigkeitslücke hinnehmbar.”
“Die Marine muss nach wie vor das große Aufgabenspektrum Einsätze, einsatzgleiche Verpflichtungen, Übungen und Ausbildung mit wenigen einsatzbereiten seegehenden Einheiten abdecken. Zugleich soll sie auf eine wachsende Verantwortung und damit zunehmende Aufgaben im Zusammenspiel mit der Europäischen Union und der NATO vorbereitet sein. Dafür ist eine ausreichende Anzahl an Schiffen und Booten notwendig.
Tatsächlich besteht aber der Eindruck, dass auch diese Teilstreitkraft das eine nur unter Vernachlässigung des anderen erfüllen kann. Personal und Material stoßen an ihre Belastungsgrenzen, Schiffe und Boote fehlen und das wenige Gerät, das zum Einsatz kommt, unterliegt einem überproportionalen Verschleiß. Die Marine selbst weist in ihrer Beschreibung der materiellen Einsatzbereitschaft klar darauf hin. Um die Einsatzbereitschaft zu steigern, kommt daher der rechtzeitigen Auslieferung neuer Einheiten eine besondere Bedeutung zu. Dies gelingt bislang nur unzureichend. Ungeachtet dessen gilt es auch, die Verfügbarkeit der Bestandseinheiten für den Einsatzbetrieb zu verbessern. Notwendig sind die fristgerechte Beseitigung von altersbedingten Abnutzungen, angemessene Instandsetzungskapazitäten in Zusammenarbeit mit industriellen Anbietern und die Wiedererlangung von hinreichenden Unterstützungskapazitäten des Marinearsenals. Andernfalls sind Umplanungen in der Bereitstellung von Kräften für den Ausbildungs-, Übungs- und Einsatzbetrieb bis hin zur Absage internationaler Verpflichtungen wie etwa im Falle des Betriebsstofftransporters SPESSART, der aufgrund von Verzögerungen bei der Instandsetzung nicht wie zugesagt an der Standing NATO Maritime Group teilnehmen konnte, weiterhin nicht zu vermeiden. Und diese Last liegt regelmäßig auf den Schultern der Besatzungen.”
Zu Afghanistan heißt es in dem Bericht ausdrücklich:
“RESOLUTE SUPPORT, Afghanistan
Der Deutsche Bundestag hat das Mandat für die Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz RESOLUTE SUPPORT in Afghanistan mit einer Personalobergrenze von 1.300 Soldatinnen und Soldaten bis zum 31. März 2021 verlängert. Am 29. Februar 2020 unterzeichneten die USA und die Taliban ein Rahmenabkommen. Darin ist ein sukzessiver Abzug aller internationalen Truppen aus Afghanistan vereinbart. Der Abzug der internationalen Sicherheitskräfte ist abhängig vom Einhalten der Zusagen durch die Taliban. Die USA haben sich im Gegenzug dazu verpflichtet, ihre Angriffe gegen die Taliban einzustellen sowie die afghanischen Sicherheitskräfte nur in Verteidigungssituationen zu unterstützen. Zudem fand ein Gefangenenaustausch zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban statt.
Zum Jahresende sorgte eine Ankündigung der US-Regierung, bereits bis Mitte Januar 2021 die Truppenstärke von schätzungsweise 4.500 in Afghanistan stationierten Soldatinnen und Soldaten auf 2.500 reduzieren zu wollen, für Unruhe. Ungeachtet dessen hatte die Bundeswehr etwa zeitgleich bereits die Verlegung der bis dahin in Kunduz stationierten Kräfte nach Mazar-e Sharif abgeschlossen und im Vorgriff auf den aus dem Rahmen- abkommen zwischen den USA und den Taliban resultierenden Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan mit der Verlegeplanung für Material und Personal begonnen. Vor dem Hintergrund dieses ohnehin ambitionierten Zeitplans kam die Ankündigung der USA zur Unzeit, zumal die Bundeswehr in Afghanistan nicht autark operiert, sondern sich auf Fähigkeiten anderer NATO-Partner, insbesondere auf den Lufttransport von Personal durch die US Air Force, stützt. Oberstes Gebot für das weitere Engagement der Bundeswehr in Afghanistan bleibt die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten. Ein unkoordinierter, verfrühter Truppenabzug realisierte sich bis zum Amtsantritt des neuen US-Präsidenten zum Glück nicht. Stattdessen zeichnet es sich ab, dass die USA ihr weiteres Vorgehen in Afghanistan wieder daran orientieren, den fragilen Friedensprozess in Afghanistan nicht zu unterminieren. Darüber hinaus sollte der Abzug der NATO-Truppen auch durch die NATO koordiniert werden – im Sinne der Devise: „Gemeinsam rein, gemeinsam raus.“ Unabhängig von dem Zeitpunkt des Abzugs: Vor dem Hintergrund, dass sich bis heute über 158.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan für den dortigen Frieden engagiert haben, sollte nach Beendigung des Einsatzes Bilanz gezogen werden. Dazu brauchte es eine Evaluation des langjährigen Einsatzes in Afghanistan und eine offene Diskussion über die erreichten Ziele.
Schon der letzte Jahresbericht verwies auf die von Soldatinnen und Soldaten geäußerte Kritik, dass es im Camp Pamir in Kunduz kein Frühwarnsystem und auch kein Reaktionssystem gebe. Ebenso unzureichend sei die Unterbringung in ungeschützten, gemieteten Unterkünften. Nach Mitteilung des Verteidigungsministeriums scheiterte die Fertigstellung der Rundbeobachtungsanlage bislang daran, dass dem zivilen Auftragnehmer das mit der verschlechterten Sicherheits- und Bedrohungsanlage verbundene Risiko bei der Erbringung der Transport- und Bauleistungen zu hoch war. Die Bundeswehr konnte dies wiederum nicht selbst leisten, ohne die Mandatsobergrenze zu verletzen. Außerdem führten die pandemiebedingten Einschränkungen größtenteils zum Erliegen der Baumaßnahmen in Kunduz. Mit vor Ort verfügbaren Mitteln entstanden zwischenzeitlich wenigstens zwei geschützte Unterkunftsgebäude.
Aufgrund des geplanten Truppenabzugs entschied der Generalinspekteur der Bundeswehr am 19. Oktober 2020, die im Camp Pamir in Kunduz vorgesehenen Baumaßnahmen zunächst auszusetzen. Zuvor hatte die Führung der internationalen Militärmission bereits im Spätsommer 2020 verfügt, die rund 100 in Kunduz eingesetzten deutschen Soldatinnen und Soldaten vom Camp wieder zum Hauptstützpunkt in Mazar-e Sharif zurückzuziehen. Seitdem sollen die deutschen Berater, falls von den Afghanen angefordert, per Hubschrauber nach Kunduz fliegen, vor Ort beraten und das Camp nach getaner Arbeit wieder verlassen. Damit endete zum zweiten Mal die ständige Präsenz der Bundeswehr in Kunduz.”
Die Situation heute, am 17.8.2021 war vorhersehbar. Welche Politiker übernehmen jetzt die Verantwortung?